Jugendliche im Sog der Digitalisierung

Handy als Fluch und Segen: Sandra mit begünstigen Jugendlichen (Bild: Stiftung Presencia)
Handy als Fluch und Segen: Sandra mit begünstigen Jugendlichen (Bild: Stiftung Presencia)

Jugendliche im Sog der Digitalisierung

Smartphones sind in Kolumbien in allen sozialen Schichten ständige Begleiter. Was macht das mit Kindern und Jugendlichen? Und wie wirkt sich das auf die Aktivitäten der Stiftung Presencia aus? Ein Gespräch mit Team- und Projektleiterin Sandra Milena Sanchez Valderrama.

Sandra, Jugendliche ohne Smartphone sind fast undenkbar, auch im Armenviertel. Welche Veränderungen beobachtest du?
 
Generell hat die Aufmerksamkeitsspanne der Kinder und Jugendlichen stark abgenommen. Die Konzentration liegt auf den mobilen Geräten in der Hand und die Ablenkung, die sie bieten. TikTok, Instagram, Facebook, WhatsApp und wie sie alle heissen, liefern eine permanente Berieselung mit leicht zu konsumierenden Inhalten. Sei es im Gespräch, in der Klasse oder in einem Film: Das Handy wird ständig überprüft, um nichts zu verpassen. Daran haben sich die Kinder und Jugendlichen während des Lockdowns gewöhnt und so ist es geblieben.
 
Wie wirkt sich das auf zwischenmenschliche Beziehungen aus?
 
Wir sind mit Jugendlichen konfrontiert, die nicht mehr sprechen oder sich bewegen wollen. Die ängstlich sind im Umgang mit anderen und nicht selten einsam. Eine Umarmung, ein Lächeln oder einen Händedruck ersetzen sie durch Emojis. Früher waren die Kinder und Jugendlichen bei unseren Ausflügen auf die Finca mit Begeisterung dabei. Heute bleiben sie lieber daheim. Dies wird von den Eltern sogar noch unterstützt. Sie glauben, dass die Risiken draussen grösser seien als zu Hause am Handy. Die Realität kann aber genau umgekehrt aussehen. Deshalb sensibilisieren wir Eltern und Jugendliche für die Gefahren im virtuellen Raum.
 
Kinder und Jugendliche, die nur herumsitzen. Was sind die Konsequenzen?
 
Wir sehen, wie aus dem Bewegungsmangel Defizite bei Grob- und Feinmotorik entstehen. Auch Übergewicht ist eine mögliche Folge davon. In unserer Arbeit versuchen wir darauf einzugehen, zum Beispiel, indem wir die Kinder und Jugendlichen zu spielerischer Bewegung animieren. Der neue Standort hat einen grossen, geschützten Umschwung, den wir dafür nutzen können. Dort haben wir einen Spielplatz und einen Platz für Ballsportarten eingerichtet. 

Am neuen Standort gibt es mehr Platz, um sich zu bewegen. (Bild: Stiftung Presencia)
Am neuen Standort gibt es mehr Platz, um sich zu bewegen. (Bild: Stiftung Presencia)

Aber wenn die Jungen nicht rausgehen wollen, wie funktioniert dann die Arbeit mit ihnen?

Zu unseren Grundsätzen gehört die häufige persönliche Präsenz an unseren Standorten. Diese wird seit der Pandemie zwar von unseren Begünstigten immer wieder hinterfragt, aber daran rütteln wir nicht. Unsere Herausforderung besteht vielmehr darin, die Jugendlichen zu uns zu bringen und gleichzeitig ihre Bedürfnisse zu kennen und zu verstehen. Wir wollen sie dort abholen, wo sie emotional sind.

Welche kognitiven Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen?

Wir merken, dass sich persönliche Reifeprozesse beschleunigen, wenn alles – Informationen, Dienstleistungen, Bedürfnisbefriedigung etc. – nur einen Klick entfernt ist. Aber gleichzeitig nimmt die Resilienz im Umgang mit eigenen Problemen und Herausforderungen ab. Psychische Probleme häufen sich. In der schulischen und akademischen Laufbahn wiederum nehmen KI-Tools wie ChatGPT immer mehr Raum ein, darunter leiden Denk- und Kreativprozesse.

Hat die Digitalisierung aus deiner Sicht auch Vorteile?

Das hat sie ganz klar. Wichtig ist für uns vor allem, dass die Bildung zugänglicher geworden ist, gerade in abgelegenen Regionen. Dadurch können Berufswünsche verwirklicht werden, die früher auf der Strecke geblieben wären. Allgemein werden viele Prozesse im Bildungsbereich einfacher und schneller: die Teilnahme an Lehrveranstaltungen, Administratives, Einreichen schriftlicher Arbeiten etc. Auch wir als Stiftung profitieren: Über WhatsApp-Gruppen kommunizieren wir Ausschreibungen und sind in direktem Kontakt mit den Jugendlichen oder den Familien. Wir nutzen auch verschiedene Plattformen, um uns auszutauschen, Dateien zu teilen oder virtuelle Treffen zu organisieren. Das vereinfacht unsere Arbeit enorm. 
 

Seit mehr als 40 Jahren verbessern wir die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in Kolumbien.

Unsere Projekte

In den 80er Jahren gegründet, und mittlerweilen zu einer professionellen Entwicklungsorganisation angewachsen.

Die Stiftung Presencia

Wir legen offen wie wir arbeiten und wie Ihr Geld investiert wird. Gleichzeitig evaluieren wir mit einem Wirkungsmodell den Erfolg unserer Projekte.

Wir leben Transparenz